[2C] Stadtanamnese
(Vertiefung ins Thema einer Arbeitsgruppe auf dem Zukunftswerkstatt-Jahrestreffen 2006:
Homöopathie als Entwicklungskraft für Stadtumbau und Zukunft )
"Organon" des Stadtumbaus
Neufassung der Paragraphen aus dem Klassiker von Samuel Hahnemann,
Begründer der neuzeitlichen Homöopathie:
"Organon der Heilkunst", 6. Auflage 1921
(veröffentlicht von Dr. Richard Haehl)
- Eine Reihe von Begriffen sind von
Dr. Elisabeth Häcker-Strobusch
mit Bedeutung für die "Stadtanamnese" in Analogie zur Menschen-Anamnese eingesetzt worden.
- Die
Rechtschreibung ist von den Herausgebern der Website
den aktuellen Schreibweisen
angepasst worden,
damit der aktuelle Bezug leichter zugänglich wird.
(z.B. nöthig – nötig / Theile – Teile)
§ 83
Diese individualisierende Untersuchung einer Stadt und ihrer Probleme, wozu ich hier nur eine
allgemeine Anleitung gebe und wovon der Stadt-Untersucher nur das, für den jedesmaligen Fall
Anwendbare beibehält, verlangt von dem
Heilkünstler nichts als Unbefangenheit und gesunde Sinne, Aufmerksamkeit im Beobachten
und Treue im Aufzeichnen des Bildes der Probleme.
§ 84
Die Betroffenen klagen den Vorgang ihrer Beschwerden; die Beteiligten erzählen ihre Klagen,
das Benehmen, und was
sie an ihrer Stadt wahrgenommen; der Fragende sieht, hört und bemerkt durch die übrigen
Sinne, was verändert und ungewöhnlich an derselben ist.
Er schreibt alles genau mit den nämlichen Ausdrücken
auf, deren die Befragten und Beteiligten sich bedienen. Wo möglich lässt er sie
stillschweigend ausreden, und
wenn sie nicht auf Nebendinge abschweifen, ohne Unterbrechung. Bloß langsam zu sprechen
ermahne sie der Fragende
gleich Anfangs, damit er dem Sprechenden im Nachschreiben des Nötigen folgen könne.
§ 85
Mit jeder Angabe des Befragten bricht er die Zeile ab, damit die Themen alle einzeln unter
einander zu stehen kommen.
So kann er bei jedem derselben nachtragen, was ihm anfänglich allzu unbestimmt, nachgehends
aber deutlicher angegeben wird.
§ 86
Sind die Erzählenden fertig mit dem, was sie von selbst sagen wollten, so trägt der
Befragende bei jedem
einzelnen Thema die nähere Bestimmung nach, auf folgende Weise erkundigt: Er liest die einzelnen,
ihm berichteten Themen durch, und fragt bei diesem und jenem insbesondere: z.B. zu welcher Zeit
ereignete sich dieser Zufall?
In der Zeit vor dem IBA-Projekt? Während des IBA-Projektes? Gab es Ähnliches schon früher?
Oder erst einige Tage
nach Beiseitesetzung der Aktivitäten? Was für ein Erleben, welche Empfindungen und Gedanken,
genau beschrieben,
waren es, die sich an dieser Stelle ereigneten? Wem ging es noch so? Welche genaue Stelle / Zeit war es?
Erfolgte die
Störung zu verschiedenen Zeiten oder war sie anhaltend, unausgesetzt? Breitete sie sich aus und
in welchem Zeitraum?
Gab es Vorläufer davon? Zu welcher Zeit des Tages oder der Nacht war es am schlimmsten, oder
setzte es ganz aus?
Wie war dieser, wie war jener angegebene Zufall oder Umstand – mit deutlichen Worten beschrieben
– genau beschaffen?
§ 87
Und so lässt sich der Arzt die nähere Bestimmung von jeder einzelnen Angabe noch dazu sagen,
ohne jedoch
jemals dem Gegenüber bei der Frage schon die Antwort zugleich mit in den Mund zu legen, oder so
dass er dann
bloß mit Ja oder Nein darauf zu antworten hätte; sonst wird dieser verleitet, etwas Unwahres,
Halbwahres oder wirklich
Vorhandnes, aus Bequemlichkeit oder dem Fragenden zu gefallen, zu bejahen oder zu verneinen, wodurch
ein falsches Bild
der Probleme und eine unpassende Curart entstehen muss.
§ 88
Ist nun bei diesen freiwilligen Angaben von mehren Teilen oder Funktionen der Stadt oder von den
Stimmungen in der Stadt
nichts erwähnt worden, so fragt der Forschende, was in Rücksicht dieser Teile und dieser
Funktionen, so wie
wegen des Geistes- oder Gemüts-Zustandes der Bewohner, noch zu erinnern sei, aber in allgemeinen
Ausdrücken,
damit der Berichtgeber genötigt werde, sich speziell darüber zu äußern.
§ 89
Hat nun der Befragte auch durch diese freiwilligen und bloß veranlassten Äußerungen dem
Fragenden gehörige
Auskunft gegeben und das Bild der Stadt ziemlich vervollständigt, so ist es diesem erlaubt, ja
nötig (wenn er
fühlt, dass er noch nicht gehörig unterrichtet sei), nähere, speziellere Fragen zu tun.
§ 90
Ist der Fragende mit Niederschreibung dieser Aussagen fertig, so merkt er sich an, was er selbst
an dem Befragten
wahrnimmt und erkundigt sich, was demselben hiervon in früheren Tagen eigen gewesen.
Anmerkungen zur Fragetechnik
abgeleitet aus Anmerkungen zu § 88 und § 89 von
Dr. Elisabeth Häcker-Strobusch
- Wie ist es mit... (dem Kirchplatz, dem Friedhof, den Verkehrswegen, der Frischluft,
der Hitze im Sommer...)?
- Welche Jahres-/Tages-Zeiten sind am schönsten in der Stadt?
- Welche sind Ihnen am meisten zuwider?
- Wo sind die Kältezonen dieser Stadt, wo ihre heißen Punkte?
- Wo und wann fühlt sich die Stadt nach Heimat an, wo und wann erscheint es
Ihnen anders, fremd?
- Wie geht es ihnen nach einem Wochenende in der Stadt?
- Was sind die Ausscheidungen der Stadt, von denen sie wissen?
- Wie gebärdet sich die Stadt des Nachts?
- Wo ist es ruhig, wo ist es laut?
- Wie fühlen sie sich beim Erwachen / beim Zubettgehen in dieser Stadt?
- Was hat sie in dieser Stadt oder an dieser Stadt schon erschreckt?
- Was zieht sie immer wieder in diese Stadt zurück?
- Wo halten sie sich am liebsten auf in dieser Stadt oder ihrer näheren Umgebung?
- Was fehlt ihnen so sehr, dass sie regelmäßig / gelegentlich woanders
hingehen, um es zu bekommen / zu erleben?
- In welcher Lebensphase war es für Sie besonders schön in dieser Stadt?
- Was hat dazu vor allem beigetragen?
- Was veranlasst sie dazu, in dieser Stadt zu bleiben?
- Was könnte ihnen das Leben in der Stadt erleichtern?
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