Aktualisiert: 25.1.2004.

Anmerkungen, Gedanken und Erlebtes
zum Jahrestreffen der
Zukunftswerkstätten ZW2004


Aus Ihrer
persönlichen Sicht
beschreibt
Petra Eickhoff:

Bitterfelder Wege 2004 Teil 5

  1. Nachtbrücke ins Bitter-Feld
  2. Ritter-Gut – Alles gut?
  3. Kantige Fragen – große Runde
  4. Rotation der Gäste – Auf den Zahn gefühlt
  5. Im Linienbus einer Flut an Geschichte(n) entgegen
  6. Von der Regio-Land-Tour zur Welt-Raum-Praxis
  7. Offenes Ende im Bitter-Feld – neue Anfänge im Lebens-Feld

Im Linienbus einer Flut an Geschichte(n) entgegen

— Samstag, 10.1.2004 nach dem Mittagessen — Regionalentwicklung und Strukturwandel in "geschundener Region" – wir erfahren die Region Bitterfeld mit dem Linienbus. Heidrun Heidecke – 1994-1998 Umweltministerin von Sachsen-Anhalt – begleitet uns. Mich beeindruckt ihr Engagement und ihre Fachkompetenz. Aber irgendetwas stört mein Bild von einer Ministerin.

Was bewegt mich, als wir durch die Industrie-weg- und -brach-land-schaften fahren? Aufgeräumte Landschaft, damit sich die Natur von den Belastungen der DDR-Industrie erholen kann. Hier waren 10.000 Menschen in Lohn und Brot, aber auch untragbaren Gefahren für ihre Gesundheit ausgesetzt. Die DDR setzte auf Industrieproduktion und materiellen Wohlstand für alle, der in den letzten Jahren mit immer mehr Ausbeutung der Ressoucen einherging. Ich habe hier nicht gelebt, und Umwelt war kein Thema, das die Bürger zu interessieren hatte. Das war Verantwortung des Staates. Trotzdem, so erfahre ich, gab es Verweigerung. In bestimmten Bereichen der Produktion fanden sich keine Arbeitskräfte mehr, die bereit waren, dort zu arbeiten. Für diese Bereiche wurden Vietnamesen, Kubaner, Angolaner ins Land geholt. Sie wurden Chemie-Facharbeiter.

Wir fahren vorbei an Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäuden aus den 30-er Jahren, als Bitterfeld/Wolfen Industriestandort wurde, sich IG Farben, später AGFA hier Produktionsstätten eröffneten. Viele dieser erhaltenswerten Industriedenkmäler stehen leer. Wir fahren am ehemaligen Kultur- und Kongresszentrum des VEB Chemiekombinat Bitterfeld vorbei. Hier fand am 24.04.1959 eine kulturpolitische Konferenz statt, die als Bitterfelder Weg in die Geschichte der Kulturpolitik der DDR eingegangen ist:

"Auf dem Weg zur 'klassenlosen Gesellschaft' war in der DDR auch die noch "vorhandene Trennung von Kunst und Leben" und die "Entfremdung zwischen Künstler und Volk" zu überwinden." (Lexikon geteiltes Deutschland) — Das scheint für unser heutiges Verständnis von Kunst sehr fremd. Und dennoch bleibt das Anliegen der DDR, dass Kultur breiteren Schichten der Bevölkerung geöffnet wurde und Künstler die Möglichkeit hatten, in der Produktion Stoff für ihr künstlerisches Schaffen zu finden. Die kritische Auseinandersetzung vor Ort hatte durchaus weitreichende Folgen: "Ein kritisches Theater- und Ausstellungspublikum sowie eine kritische Leserschaft." ("Leben in zwei Bezirken" – LISA Landesinstitut für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichtsforschung von Sachsen-Anhalt) — Einer meiner Schlüsselromane als 17-jährige ist auf den Bitterfelder Weg zurückzuverfolgen: Franziska Linkerhand von Brigitte Reimann (nach der Wende in ungekürzter (unzensierter) Fassung erschienen. ("Brigitte Reiman auf dem Bitterfelder Weg"). — Ein Industriedenkmal musste einer geplanten Müllverbrennungsanlage weichen, erfahren wir. Die Investoren rissen dieses Haus in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ab. Kein Haus, keine Anlage.

Dann zur Blauen Bank. Sie wurde als Denkmal errichtet für diejenigen, die das Hochwasser 2003 von Bitterfeld abgewendet hatten. Gefluteter Tagebau. Ein starkes Gefühl von Solidarität, von dem auch die Friseusin am Freitag erzählt hatte. Als das Hochwasser kam, lernte sie ihre Nachbarn erst kennen; man war im Gespräch, half sich gegenseitig. Aber jetzt ist wieder alles wie zuvor. Bedauern in ihren Worten.

Die Umgestaltung der Goitzsche zu einem Kunst-Natur-Projekt soll helfen, die Region zu einem starken Anziehungspunkt zu machen. Belegte Brötchen, Glühwein, Kaffee, Tee gibts für durchgefrorene ModeratorInnen mit Kulisse und Bühne - das Amphitheater. Ich denke über die "geschundene Region" nach. Kultur- und Kunstlandschaft gegen Ausbeutung von Ressourcen. Saubere Luft gegen chemischen Ausstoß. ABM gegen Lohnarbeit. Und das alles ist folgerichtig?

Zukunftswerkstätten spielen hier keine Rolle. Nicht einer der Gäste aus der Region hat nachgefragt, ob Zukunftswerkstätten ihnen nützten könnten. Es gibt eine regionale Arbeitsgruppe, geleitet von Babett Scurell, die genau das untersucht: Blockierungen nachhaltiger Entwicklung, Projekt Blockierter Wandel.

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Bitterfelder Wege 2004 Teil 5

  1. Nachtbrücke ins Bitter-Feld
  2. Ritter-Gut – Alles gut?
  3. Kantige Fragen – große Runde
  4. Rotation der Gäste – Auf den Zahn gefühlt
  5. Im Linienbus einer Flut an Geschichte(n) entgegen
  6. Von der Regio-Land-Tour zur Welt-Raum-Praxis
  7. Offenes Ende im Bitter-Feld – neue Anfänge im Lebens-Feld